Nur noch rund sechs Monate (bis zum vorgesehenen Austrittsdatum am 29. März 2019) bleiben bis zum formellen Austritt von Großbritannien aus der EU. Zu ihrer Zukunftssicherung muss sich die rund 24,4 Milliarden Euro schwere Modebranche des Königreichs auf verschiedene Brexit-Szenarien einstellen. Richard Lim, Chief Executive von Retail Economics, nennt drei mögliche Szenarien: Das erste wäre ein „Hard Brexit“, bei dem Designer, Einzelhändler und Hersteller für den Handel mit der EU zahlen müssen. Dies hätte nach seinen Berechnungen zur Folge, dass die Zollsätze für Kleidung und Schuhe pro Jahr um etwa elf Prozent oder etwas über eine Milliarde Pfund (rund 1,1 Milliarden Euro) steigen würden. Ein zweites Szenarium nimmt ein Freihandelsabkommen an, eine dritte Variante geht davon aus, dass das Vereinigte Königreich ein Teil der Zollunion bleiben wird. Lim erwartet, dass, was immer auch passiert, die Textilpreise in Großbritannien nach dem Brexit steigen werden. Ursachen hierfür seien nicht nur die Zölle, sondern auch ein „Exodus“ von (europäischen) Shop-Mitarbeitern, Designern, Lagermitarbeitern und Auslieferungsfahrern.
Jährlich importiert Groß-Britannien Kleidung und Schuhe im Wert von etwa zehn Milliarden Pfund aus dem restlichen Europa, mehr als 10.000 europäische Mitarbeiter sind in der Modeindustrie der Insel beschäftigt. Die Branche erscheint wie ein Mikrokosmos der britischen Industrie, die sich mit dem Ergebnis des Referendums auseinander setzen muss.
T-Shirts mit den Aufdrucken „Cancel Brexit“ und „Fashion Hates Brexit“ verkauft die Designerin Katharine Hamnett. Sie setzt sich für ein zweites Referendum ein, hat aber auch einen Plan B. Dieser umfasst die Gründung einer eigenen italienischen Firma in der Nähe von Venedig, um dort Produktion und Logistik abzuwickeln. Mit einem Standort in Italien muss sie sich nicht mit Import- und Exportproblemen oder der komplizierten Brexit-Bürokratie auseinandersetzen. Frances Card, Fashion Consultant und ehemals COO von Matchesfashion.com, beklagt ebenso wie Clare Hornby von ME + EM, dass die Branche wenig über den Brexit-Deal wisse. Der Fotograf Nick Knight glaubt, dass Großbritannien nach dem Verlassen der EU wirtschaftlich und kulturell erheblich schlechter gestellt sein wird.
Abwanderung von Talenten befürchtet
Die Abwertung des Brexit-geschürten Pfunds lässt die Zahl der chinesischen, arabischen und amerikanischen Modetouristen steigen, die in schicken Shops im West End Geld ausgeben. Steigende Produktionskosten im Ausland und die Abwanderung internationaler Talente aus der Branche sind jedoch Probleme. José Neves, Gründer der Luxus-Online-Plattform „Farfetch“, glaubt, dass der Brexit die Präsenz von 25 verschiedenen Nationalitäten in seinem Londoner Büro gefährden könne: „Viele großartige britische Designer sind Europäer und stolz darauf."
„Talentverlust“ wird als ein weiteres Problem nach dem Brexit genannt. Stephanie Phair, Vorsitzende des British Fashion Council (BFC), sieht es als eine „Post-Brexit-Priorität“, „sicherzustellen, dass junge Menschen aus der ganzen Welt Zugang zu kreativer Bildung und Können haben, um unsere heimische Talentpipeline zu bewahren.“ Der BFC unterstützt die Mode-Sparte des „Tier-1-Visa“-Programms des Innenministeriums, das 2.000 Top-Designern aus Ländern außerhalb der EU ein beschleunigtes Visum zur Verfügung stellt. „Angesichts des Brexit ist das unglaublich wichtig“, so Phair.
Einen Talentabfluss haben die Universitäten allerdings noch nicht festgestellt. So erklärt das London College of Fashion, dass der Anteil der EU-Bewerber im vergangenen Jahr nicht gesunken ist.
Auf der Gegenseite erklären Brexit-Befürworter wie der internationale Handelsminister Liam Fox, der EU-Austritt sei „eine beispiellose Gelegenheit, ein Handelsumfeld zu schaffen, das für unser Land, unsere Unternehmen und unsere Bürger sorgt.“ Der Brexit sei „keine Kleiderschrank-Katastrophe für jedes Londoner Unternehmen der Modeindustrie.“ Das Ergebnis der Abstimmung könne bei der Rückkehr von „Made in Britain“ helfen.
Gleichzeitig gibt es Bedenken, da eine große Zahl Designer, Sticker usw. vom europäischen Festland kommen. Auch brauchen britische Bekleidungshersteller Stoffe, um ihre Kleidung herzustellen – drei Viertel der in Großbritannien verwendeten Materialien mussten importiert werden. Sollte es keine Einigung geben, könnten britische Hersteller einer verwirrenden Bandbreite von Tarifen ausgesetzt sein.
Wie Experten befürchten, könnte London außerdem seinen Ruf als globale Modehauptstadt verlieren. Superdry-Gründer Julian Dunkerton hat daher die „People's Vote“-Kampagne mit einer Million Pfund für ein zweites Referendum unterstützt. Und Card weist darauf hin, dass sich Großbritannien von einem Exodus von Designern und Topmodellen vor rund zehn Jahren auf der Londoner Fashion Week erst erholt habe – dies sei schwer zu erreichen gewesen. Potenzielle Verluste durch Brexit durchdrängen alle Bereiche der Branche: Er sei eine Katastrophe für Läden, Geschäfte, sorgfältig gepflegte Marken und für die Freiheit, alles und jeden leicht über Grenzen hinweg zu bewegen.
Quelle: Fashionating World