Am Donnerstag (6.12.) startet in Darmstadt die Tarifrunde für die Beschäftigten in der westdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie. Die IG Metall fordert unter anderem 5,5 Prozent mehr Geld für eine Laufzeit von zwölf Monaten und einen neuen Tarifvertrag zur Altersteilzeit mit besseren Konditionen für die etwa 50.000 tarifgebundenen Beschäftigten in der Branche. Zudem hat der Vorstand der IG Metall beschlossen, Gespräche mit den Arbeitgebern über eine Wahloption anzustreben, die den Beschäftigten ermöglicht, freiwillig Einkommenserhöhungen in freie Tage umzuwandeln.

Bei dem geforderten Einkommensplus von 5,5 Prozent habe man sich an der gesamtwirtschaftlichen Preissteigerungsrate von zwei Prozent für 2018 und 2019 sowie am durchschnittlichen Produktivitätsfortschritt von etwa zwei Prozent orientiert, teilt die IG Metall mit. Hinzu komme eine „Umverteilungskomponente“, um die Beschäftigten an der wirtschaftlichen Entwicklung zu beteiligen. „Die Beschäftigten in der Textil- und Bekleidungsindustrie lassen sich nicht abkoppeln“, erklärt Manfred Menningen, Verhandlungsführer der IG Metall mit Verweis auf den Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie Anfang des Jahres.
Als „völlig überzogen und aus der Zeit gefallen“ wies hingegen Markus Simon, Vorsitzender der Geschäftsführung der Verseidag-Indutex, Hersteller technischer Textilien in Krefeld und Verhandlungsführer der Arbeitgeber, die Forderungen der IG Metall zurück. Simon erklärte: „Wer mit 5,5 Prozent mehr Entgelt in die Gespräche geht, ignoriert die konjunkturellen Rahmendaten. (…) Über unseren Unternehmen ziehen sich gerade dunkle Wolken zusammen. Wer davor die Augen verschließt, riskiert die Existenz einer mittelständischen Industrie, die in vielen strukturschwachen Regionen Zukunft sichert.“
Aus Sicht der Arbeitgeber stehen in diesem Jahr besonders schwierige Tarifverhandlungen bevor. Die hohen Abschlüsse in der Metall- und Elektroindustrie zu Beginn des Jahres hätten Erwartungen geweckt, die angesichts der abgekühlten wirtschaftlichen Lage „völlig überzogen“ seien. Der Konjunkturboom sei vorbei, die weltweite Abkühlung der Konjunktur setze sich schneller fort als gedacht. Das treffe die deutsche Textilindustrie, die rund 44 Prozent ihres Umsatzes im Export erwirtschaftet, bereits spürbar, schreibt der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V. in einer Presseinformation. Erstmals verzeichneten sogar die technischen Textilien keine Umsatzsteigerungen mehr, die in den vergangenen Jahren das Zugpferd der Branche gewesen seien.

„Einschneidende Umbruchsituation“
Den Arbeitgebern zufolge ist der Umsatzrückgang in der Bekleidungsindustrie „besonders besorgniserregend“. Hier gingen die Umsätze seit Jahren kontinuierlich zurück, von Januar bis September dieses Jahres sogar um rund fünf  Prozent. Für viele Unternehmen gehe es an die Existenz. Global agierende Billigketten verdrängten Qualitätsanbieter. Hinzu komme eine Krise im deutschen Modeeinzelhandel mit zahlreichen Insolvenzen. Online-Plattformen setzten den stationären Handel massiv unter Druck, Wettbewerbs- und Preisdruck stiegen. Außerdem befinde sich die gesamte Branche durch die immer schnellere Digitalisierung in einer „einschneidenden Umbruchsituation“.
Markus Simon betont: „Wir brauchen einen mittelstandskonformen zeitgemäßen Abschluss, der verständlich und umsetzbar ist. Dazu gehört auch, dass wir aus den Erfahrungen der Abschlüsse dieses Jahres in anderen Branchen lernen. Weitere Experimente für noch mehr Arbeitszeitmodelle, mehr Freizeit statt Geld oder noch mehr Altersteilzeit sind ein Sprengsatz für unsere Betriebe in Deutschland.“
Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie habe in den vergangenen vier Jahren nach einem Jahrzehnt des massiven Arbeitsplatzabbaus wieder kontinuierlich Beschäftigung aufgebaut.

Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie (inklusive Schuh- und Lederwarenindustrie) ist mit etwa 1.400 Unternehmen und ca. 135 000 Beschäftigten im Inland die zweitgrößte Konsumgüterindustrie in Deutschland. Deutsche Textil- und Modeunternehmen erwirtschaften einen Jahresumsatz von rund 35 Milliarden Euro (davon 60 Prozent Textil, 40 Prozent Bekleidung) und sind damit in Europa führend. Im Bereich technischer Textilien ist Deutschland Weltmarktführer (Quelle: Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V.)