Wie werden sich die Menschen nach der Lockerung der Schutzmaßnahmen verhalten? Valide Prognosen hierzu seien für Modeindustrie und -handel wichtig, um Entscheidungen für die Zukunft zu treffen, erklärt das Deutsche Modeinstitut (DMI).  

Gehe man auf die Such nach verlässlichen Prognosen, höre und lese man immer wieder, dass sich Konsumenten in der häuslichen Isolation darauf besinnen würden, was im Leben wirklich wichtig sei. Dadurch wären sie nach der Quarantäne nicht nur gegen das Virus, sondern auch gegen die materiellen Verlockungen der Konsumgesellschaft immun. Sie würden als verantwortungsvolle,  minimalistische  und genügsame Verbraucher ins öffentliche Leben zurückkehren. Auch die bekannte niederländische Trendforscherin Li Edelkoort verbreite derzeit die Behauptung, die Menschen würden nach der Pandemie wie ausgewechselt sein: Sie würden wieder Bücher lesen, statt Netflix zu schauen, auf Bauernmärkte gehen, statt online zu shoppen¸lieber zuhause bei der Familie sein, als zu verreisen; handarbeiten, statt sich Sachen zu kaufen…

Rückkehr zum vorherigen Konsum erwartet
„In einer Situation, in der viele Unternehmen ums Überleben kämpfen, derartige Vorhersagen zu machen, die auf nichts weiter beruhen als auf persönlichem Wunschdenken, zeugt von ganz besonderer Verantwortungslosigkeit“, kontert das DMI und hält dagegen: „Wir vom DMI kommen, auf der Grundlage der uns vorliegenden Daten und im Austausch mit verschiedenen Ökonomen, zu einer diametral entgegengesetzten Einschätzung. „An enlightened post-pandemic consumer? Don’t count on it,“ rate zum Beispiel Wall-Street-Veteran Eugene Rabkin. Am Beispiel der Finanzkrise von 2008 zeige er, dass Menschen in Krisensituationen nach kurzen Phasen von materiellen Einschnitten oder Konsumscham stets umgehend zu ihrem vorherigen Konsum zurückkehrten – insbesondere wenn es um die verführerischen Angebote der Modeindustrie gehe.

Verwöhn-Konsum statt Einschränkung?

Ähnlich argumentiert auch Daten-Analyst George Arnett, der zeigt, dass der Konsum auch beim Ausbruch von SARS im Jahr 2003 einen V-förmigen Verlauf nahm: Durch die mit dem Auftreten der Krise verbundene Verunsicherung sei der Konsum zunächst steil abgestürzt, dann aber ebenso steil sogar auf ein höheres Niveau als vorher gestiegen.
Der Historiker und Wirtschaftsjournalist Ralph Bollmann bestätigt: „Das Virus bremst die Freude am Konsum. Das dürfte kaum von Dauer sein. Wenn die Krise viele Menschen ärmer macht, werden Konsumbedürfnisse wichtiger, nicht unwichtiger.“ Einerseits erlitten viele Leute durch die Krise Einkommens- und Vermögenseinbußen, andererseits sparten sie aber auch Geld dadurch, dass Urlaubsreisen, Wochenendausflüge, Festivals, Konzerte, Theater, Kino und Restaurantbesuche nicht möglich waren und auch auf absehbare Zeit nicht möglich sein werden. Korrespondenten des DMI berichten aus verschiedenen Ländern übereinstimmend, dass die Menschen jetzt dazu übergingen, genau dieses Geld auszugeben, um sich durch Verwöhn-Konsum so gut wie möglich über die entgangenen Vergnügungen hinwegzutrösten: Auf der chinesischen Mode-Onlineplattform Beyond lägen die Verkäufe nach dem Krisen-bedingten Umsatzeinbruch jetzt 50 bis 70 Prozent über dem Vorjahr. Es werden 2,7 mal so viele Damenhandtaschen und 7,6 mal so viele Herrenuhren verkauft. Auch in Südkorea gehe es in der ersten Aprilwoche mit dem Modekonsum bereits wieder steil bergauf: Die Kaufhauskette Lotte meldete beim Verkauf von internationalen Luxus- und Schmuckmarken einen Anstieg von 5,4 beziehungsweise 27,4 Prozent.

Aber nicht nur beim Luxus zeigten die Menschen Nachholbedarf: Der britische Fast-Fashion-Anbieter Next zum Beispiel hatte seinen Online-Shop nach zweiwöchigem Lockdown am 14. April probeweise wiedereröffnet. Er habe den Verkauf sofort wieder stoppen müssen, weil die Masse der Bestellungen bereits nach 90 Minuten seine Lieferkapazitäten überstiegen habe.

In China trage das Phänomen, dass Menschen sich durch Shopping für zurückliegenden Entbehrungen entschädigen, den Namen „baofuxing xiaofei“ oder englisch „revenge buying“. Der Begriff, der jetzt wieder aktuellwerde, stamme aus den Achtzigerjahren. Damals hatte sich die chinesische Bevölkerung gierig auf westliche Konsumgüter gestürzt, von denen sie vorher abgeschnitten gewesen war.
„Wir dürfen davon ausgehen, dass die Menschen sich auch bei uns durch Konsum „rächen“ werden, sobald es wieder möglich sein wird, entspannt und genussvoll einzukaufen“, erwartet das Deutsche  Mode-Institut.